Die fahrradunfreudliche Planung für den Bahnübergang an der Ingolstädter Straße


Aus der 21. Sitzung des Bau-, Planungs- und Umweltsenats der Stadt Neumarkt am 11. Oktober 2022
Am 11. Oktober 2022 wurde unter Tagesordnungspunkt 4 die notwendige Umplanung des Bahnübergangs an der Ingolstädter Straße besprochen. Stadtratsmitglieder aus fast allen Fraktionen beschwerten sich heftig über die mangelnde Vorausinformation durch die Verwaltung und den Bürgermeister1.
Auch als interessierter Bürger kann ich selbst nach der Sitzung die für die Entscheidung wichtigen Vorlagen der öffentlichen Sitzung nicht einsehen. Transparenz Fehlanzeige. So ist es auch nicht möglich, nachdem in der Presse über teils kontroverse Diskussion berichtete wurde, den Streitgegenstand näher unter die Lupe zu nehmen. Bürgerinformation oder Bürgerbeteiligung Fehlanzeige!
Aber geheim ist es auch nicht und so konnte ich die Unterlagen anderorts einsehen und hier mein Beitrag:

Die Sachlage:
Der Bahnübergang hat eine Signalanlage von 1962, d.h. 60 Jahre im Bestand. Das entspricht nicht mehr dem Stand der aktuellen Sicherungstechnik und die Bahn weist zu Recht auf bestimmte Konflikte und Gefahrenstellen hin (Abb.1).
Abb.1: Skizze mit Konflikt-/Gefahrenquellen am Bahnübergang Ingolstädter Straße


Jetzt muß eine Halbschrankenlösung aufgrund der gültigen Bestimmungen erforderlich. Die Planung ist deshalb so kompliziert geworden, weil Räumungszeiten berücksichtigt werden müssen. Fahren Radfahrer an der Ingolstädter Straße stadtauswärts die Brücke herunter, ist der rechtsabbiegende Kraftverkehr wartepflichtig. Das dauert dann offensichtlich zu lange, so daß Radfahrer in dieser Richtung weggeplant wurden. Folgende Planvariante 3.4, Abb.2) wurde favorisiert:

Abzweig für Fußgänger und Radfahrer nach der Brücke sofort rechts, Querung der Bahn auf einem extra Übergang ( mit Schranke?) und erneute Querung der Hans-Dehn-Straße. Also von einer Vorfahrtsberechtigung weg zu einem Umweg mit zweifacher Ausbremsung.
Abb.2 von der Bundesbahn favorisierte Planvariante
Das hat den Unmut von Olaf Böttcher, dem Verkehrsreferenten im Stadtrat , hervorgerufen. Zurecht kritisiert er, daß keine Zeit gewesen sei, alternative Vorschläge anzusehen, weil diese in der Sitzungsvorlage der Verwaltung nicht weiter beschrieben wurden, weil hier offensichtlich ohne Zwang eine Verschlechterung der Radwegführung geplant wird und weil man sich weigerte, diese Vorlage noch einmal zu überdenken und ggf. ein externes Planungsbüro einzuschalten. Auch wenn die Kritik am Vorgehen der Stadtverwaltung von vielen anderen Stadtratsmitgliedern als berechtigt angesehen wurde, hat der Stadtrat dann doch mit Mehrheit für den aus meiner Sicht schlechten Vorschlag von Bahn und Verwaltung gestimmt. Wenn man bedenkt, daß die Vorlage des Tiefbauamtes vom 27.7.2022 datiert ist und die Stadtratsitzung erst am 11. Oktober 2022 stattfand, ist jede Kritik an der kurzfristigen Information berechtigt.
Neben der Kritik an dem Hau-Ruck Verfahren zur Entscheidungsfindung gibt es auch Kritik an der vorgeschlagenen Lösung. 
  1. Ohne Not werden Umwege für Fußgänger und Radfahrer geschaffen.
  2. Der aktuell gültige Bebauungsplan wird nicht berücksichtigt.
  3. Die von der Bahn vorgeschlagene Lösung entspricht nicht den Regeln der Straßenverkehrsordnung.
  4. Die Benachteiligung des Fuß- und Radverkehrs entspricht nicht den aktuellen Richtlinien.



1. Ohne Not werden Umwege für Fußgänger und Radfahrer geschaffen.Um bei der Anfahrt eines Zuges den Bahnübergang rechtzeitig frei zu bekommen, müssen die Räumungszeiten berücksichtigt werden. Der Vorrang der Fußgänger, die von der Brücke kommen und auf der Nord- bzw. Westseite der Ingolstädter Straße die Hans-Dehn-Straße queren wollen, hindert den rechts in die Hans-Dehn-Straße abbiegenden Kfz-Verkehr und damit auch den Schwerlastverkehr daran, zügig abzubiegen und den Bahnübergang rechtzeitig zu räumen. Dieses Argument ist nachvollziehbar. Allerdings gilt das nur für die Fußgänger. Radfahrer sind nämlich deutlich schneller unterwegs. Bei der Berechnung der Räumungszeiten geht die Bahn von einer Geschwindigkeit von 1m/sec (siehe Planvariante 3.2) für Fußgänger aus; das sind 3,6 km/h. Eine Räumgeschwindigkeit für Radfahrer ist nicht angegeben. Ist ein Radfahrer, der bergab von der Brücke kommt tatsächlich so langsam? In der Vorlage des Stadtrates wird nur von Räumungszeiten von "Fußgängern und Radfahrern“ gesprochen. Letztere sind aber sicher gerade bergab schneller unterwegs. Die Bahn unterscheidet aber nicht zwischen Fußgängern und Radfahrern. Das erkennt man auch in anderen öffentlich zugänglichen Dokumenten der Bahn wie dem Leitfaden zur Durchführung von Bahnübergangsschauen2. Aber Radfahrer sind keine Fußgänger, wie es das OLG Hamburg festgestellt hat, sondern eine eigene Art von Verkehrsteilnehmern, deren Rechte ebenfalls zu berücksichtigen sind und sie gehören zum Fahrverkehr! 3Die Räumstrecke ist im Bayernatlas gemessen etwa 30 m lang. Wäre also eine gesonderte Schranke für Fußgänger (und Radfahrer), die dann deutlich früher (30 sec) als die Autoschranke schließt, nicht auch eine Lösung? 14 mal am Tag (ich nehme an werktags) wird die Bahnstrecke befahren. Selbst wenn die Schranke für Fußgänger und Radfahrer 1-2 Minuten früher als für den Kraftverkehr vor Eintreffen des Zuges schließt, sind das keine 30 Minuten kumulierter Zeitverlust am Tag. Am neuen geplanten Übergang müssen Sie ja auch warten. Dafür haben diese dann 23 Stunden und 30 Minuten und an allen Wochenenden freie Fahrt und keinen Umweg mit Zeitverlust.
Außerdem ist der von der Bahn vorgeschlagene Rad-Umweg, der dann von der Ingolstädter Straße in Richtung Hans-Dehn-Straße führt, nicht benutzungspflichtig und hat an zwei Stellen eine Straßenquerung ohne Vorfahrt für Radfahrer. Viele Radfahrer, die ja bekanntlich sehr „umwegsempfindlich“ sind, dürften daher auf der Straße weiter fahren, besser wäre ein Rasdfahrstreifen. Bei der Verkehrsstärke ( 8000 Kfz/24h , sind das 330 Kfz/Std im Durchschnitt und der Spitzenwert liegt vielleicht bei   1000 Kfz pro Stunde). Damit liegt die Verkehrsdichte  im Belastungsbereich I oder II der Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA, S.19), wo eine Führung auf der Fahrbahn (Radfahrstreifen) gut möglichist4.Laut Radverkehrskonzept, vorgestellt in der 16. Sitzung des Bau-, Planungs- und Umweltsenates am 6. April 2022 ist der umwegfreie Radweg an der Ingolstädter Straße eine Hauptroute im Radwegenetz. Das wird hier leichtfertig aufgegeben.
Abb. 3 Wunschrouten Netz laut Entwurf des Radverkehrskonzeptes 2022



2. Der aktuell gültige Bebauungsplan wird nicht berücksichtigt.
Der aktuell gültige Bebauungsplan 092 Dreiangelweg aus dem Jahr 2002 sieht für die Siemensstraße ein vollständiges Durchfahrtsverbot vor 5. Damit würde die Kreuzung viel einfacher zu überplanen sein und könnte für Fußgänger und Radfahrer besser gestaltet werden. Auch der Vorschlag der Bahn sieht eine Einbahnstraßenlösung in der Siemensstraße vor. Damit ist der Weg zum Durchfahrtsverbot nicht mehr weit.
Abb.4: Bebauungsplan 092 Dreiangelweg
Abb.4a: Detail aus dem Bebauungsplan mit gesperrter Siemensstraße 





3. Die von der Bahn vorgeschlagene Lösung entspricht nicht den Regeln der Straßenverkehrsordnung.
Es gibt auch einen Plan der Bahn zur Radverkehrsführung. Dieser entspricht aber nicht der geltenden Straßenverkehrsordnung und muss in dieser Form daher abgelehnt werden. Dieser regelwidrige Plan wurde in der Stadtratssitzung ebenfalls nicht gezeigt, aber mit der Annahme des Plan 3.4 wohl mit beschlossen. Die vorgeschlagene Anordnung der Radwege auf zwei verschiedenen Straßenseiten ist regelwidrig. Gleichzeitig sollte doch ernsthaft überlegt werden, ob nicht auch auf der Ostseite der Ingolstädter Straße ein Fußweg gebaut werden sollte, wenn in das ehemalige Pfleiderer-Verwaltungsgebäude über 250 Menschen in das geplante Ankerzentrum einziehen.
Abb.5: Vorgeschlagene, regelwidrige Radwegsführung am Bahnübergang

4. Die Benachteiligung des Fuß- und Radverkehrs entspricht nicht den aktuellen Richtlinien
Die Ingolstädter Straße ist im Radverkehrskonzept der Stadt Neumarkt eine Hauptroute für den Radverkehr6. Das wird im neuen Radverkehrskonzept auch so sein. Daher ist es nicht logisch, an einer solchen Route einen Umweg einzuplanen. Auch die seit 2022 vorliegende E Klima Richtlinien der FGSV7 sehen einen höheren Komfort mit einer Qualitätsstufe des Verkehrs (QSV) A für Fuß- und Radverkehr und einen deutlich schlechteren QSV für den KFZ-Verkehr vor. Also sollten auch in Neumarkt Lösungen entwickelt werden, die Fußgänger und Radfahrer nicht benachteiligen. Die beschlossene Lösung widerspricht dieser Richtlinie und auch dem integrierten Gesamtverkehrsplan der Stadt Neumarkt, der sich gleiche Bedingungen für Rad- und Kfz-Verkehr zum Ziel gemacht hat8.



Fazit aus der Sitzung des Stadtrates vom 11.10.2022
Die Stadtverwaltung hat die von der Bahn vorgeschlagene Planung wahrscheinlich ohne eigenes Zutun zur Abstimmung vorgelegt. Interessen der Bahn und der Fa Dehn wurden richtigerweise berücksichtig, andere Interessen der Neumarkter Bürger, insbesondere von Radfahrern und Fußgängern offensichtlich nicht.Zwei Lösungsvorschläge, die die Interessen der Fußgänger und Radfahrer besser berücksichtigen stelle ich hier vor:1. Vorschlag mit gleichbleibender Verkehrsführung:
Eine Lichtzeichenanlage soll sowieso eingerichtet werden. Damit könnte auch bei erhaltener Rad- und Fußgängerführung eine Ampel und Schranke eingerichtet werden, die für Radfahrer und Fußgänger deutlich früher rot zeigt und so das Problem der Räumungszeiten löst. Da die Lichtzeichenanlage ja nur bei Annäherung eines Zuges (14 mal am Tag) in Betrieb genommen wird, ist für die meiste Zeit des Tages auch der Fuß- und Radverkehr nicht beeinträchtigt. Mein Plan hierzu ist leider nicht sehr übersichtlich, aber mir steht auch keine entsprechende Planungssoftware zur Verfügung.
Abb.6: Vorschlag mit gesonderter Lichtzeichenanlage für Fußgänger und Radfahrer


2. Vorschlag  mit Sperrung der Siemensstraße entsprechend gültigem Bebauungsplan
Viel einfacher würde die Planung werden, wenn die Siemensstraße an der Einmündung in die Hans-Dehn-Strasse für den Kfz-Verkehr gesperrt würde, wie es schon seit 2002 im Bebaungsplan 092 Dreiangelweg vorgesehen ist5. Dann wird aus der verzwickten Situation eine T-Kreuzung, die viel einfacher zu überplanen ist. Zusätzlich könnte man den Schwerlastverkehr von der Ingolstädter Straße fern halten und über die Hans-Dehn-Straße durch das Industriegebiet führen. Das würde auch die Kreuzung am oberen Tor und den Anfang der Ringstraße entlasten.
Der Flächenbedarf für diese Lösung ist nicht größer, als bei der von der Bahn favorisierten Variante 3.4, aber für Fußgänger und Radfahrer wäre viel erreicht.
Abb.7: Umwandlung der Kreuzung in eine T-Kreuzung durch Sperrung der Siemensstraße
Leider ist es trotz vieler Bemühungen bisher nicht gelungen, mit der Deutschen Bundesbahn oder der Stadtverwaltung Neumarkt noch einmal ein Gespräch zu führen, um Alternativvorschläge zu besprechen und eine für alle optimale Lösung zu erreichen. Eine erneute Diskussion wird kategorisch abgelehnt. Nach dem Motto beschlossen ist beschlossen, wird an Beschlüssen festgehalten, die auf die Schnelle und mit unvollständigen Informationen gefaßt wurden, aber aus Prinzip nicht mehr angetastet werden sollen.
Dazu zitiere ich aus dem Buch von Kerstin E. Finkelstein, Straßenkampf Seite 84:„Für eine Verkehrswende braucht es nicht nur eine genaue Bestandsaufnahme von dem was ist, und einen politischen Willen, etwas zu ändern - entscheidend ist auch eine Verwaltung, die das dann in die Tat umsetzt.“Ich mag es eigentlich nicht, wenn Sprache aus dem militärischen Sprachgebrauch (Rückeroberung, Strassenkampf, Kampfradler o.ä.) verwendet wird, da dann eine unnötige Schärfe in die Auseinandersetzung getragen wird. Ich glaube aber, daß eine solche Sprache aus der Frustration heraus entsteht, die diejenigen, die sich für das Radfahren engagieren, immer wieder bei der Stadt- und Verkehrsplanung erleben.
12. Oktober 2022, ergänzt und überarbeitet 8. April 2024
Quellen1. https://www.neumarkt.sitzung-online.de/public/to020TOLFDNR=19935&SILFDNR=2335
2. Verkehrssicherheit an Bahnübergängen, Leitfaden zur Durchführung von Bahnübergangsschauen 2003
3. OLG Hamburg 5 ORbs 25/23: 
„Radfahrende sind auch nicht etwa als „qualifizierte Fußgänger“anzusehen, denen unabhängig von etwaigen straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen nach Belieben angesonnen werden könnte oder müsste, vom Fahrrad abzusteigen und fortan als Fußgänger am Verkehr teilzunehmen.” 4. ERA Empfehlungen für Radverkehrsanlagen 2010, Seite 19
5. https://www.o-sp.de/neumarkt/plan/uebersicht.php?pid=26724
6. https://www.neumarkt.sitzung-online.de/public/to020?TOLFDNR=19661#showHideLink_ide4
7. E Klima Empfehlungen Empfehlungen zur Anwendung und Weiterentwicklung von FGSV-Veröffentlichungen im Bereich Verkehr zur Erreichung von Klimaschutzzielen,FGSV Verlag 2022
8. Integrierter Gesamtverkehrsplan Neumarkt i.d.OPf. 2013
9. Kerstin E. Finkelstein; Straßenkampf, CH.Links Verlag 2020



















Quellenhinweise
1. https://www.neumarkt.sitzung-online.de/public/to020TOLFDNR=19935&SILFDNR=2335
2. Verkehrssicherheit an Bahnübergängen, Leitfaden zur Durchführung von Bahnübergangsschauen 2003
3. OLG Hamburg 5 ORbs 25/23: „Radfahrende sind auch nicht etwa als „qualifizierte Fußgänger“anzusehen, denen unabhängig von etwaigen straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen nach Belieben angesonnen werden könnte oder müsste, vom Fahrrad abzusteigen und fortan als Fußgänger am Verkehr teilzunehmen.“4. ERA Empfehlungen für Radverkehrsanlagen 2010, Seite 19
5. https://www.o-sp.de/neumarkt/plan/uebersicht.php?pid=26724
6. https://www.neumarkt.sitzung-online.de/public/to020?TOLFDNR=19661#showHideLink_ide4
7. E Klima Empfehlungen Empfehlungen zur Anwendung und Weiterentwicklung von FGSV-Veröffentlichungen im Bereich Verkehr zur Erreichung von Klimaschutzzielen,FGSV Verlag 2022
8. Integrierter Gesamtverkehrsplan Neumarkt i.d.OPf. 2013
9. Kerstin E. Finkelstein; Straßenkampf, CH.Links Verlag 2020












12.10.2022

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