Wie breit darf ein Radweg sein ?

smal is not beautiful !


Vielfach wird darüber geklagt, dass die Radfahrer ohne Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer und unter Verletzung zahlreicher Vorschriften der Straßenverkehrsordnung oder anderer Regelwerke unterwegs sind. Sind das alles Kampfradler, Rowdies oder rücksichtslose, ellenbogenstarke Mitbürger, die sich Ihren Weg bahnen?Ich glaube nicht. Jeder, der als Fahrradfahrer unterwegs ist, will schnell, sicher und bequem an sein Ziel kommen. Und die Führung des Radverkehrs steht dem oft diametral entgegen.
  • Schnell heißt, keine überflüssigen Wartezeiten an Kreuzungen und Ampeln.
  • Sicher heißt objektiv sicher unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Verkehrsforschung und subjektiv (gefühlt) sicher.
  • Bequem heißt ohne Umwege, ohne überflüssiges und kraftzehrendes Bremsen und Beschleunigen oder Stolperstellen, Kanten und Schlaglöcher.
Und wenn das Radfahren attraktiv sein soll, muss die Radwegeführung für jedes Alter von 8 – 80 Jahren geeignet sein. Das sind die Grundsätze einer attraktiven Radinfrastruktur. Kinder ab dem Alter von 8 Jahren dürfen, ab dem Alter von 10 Jahren müssen die Straße benutzen, wenn kein getrennter Radweg vorhanden ist. Und die Senioren wollen auch berücksichtigt werden.Die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA) der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen1 sind das aktuelle, aus dem Jahr 2010 stammende Regelwerk für den Bau von Radwegen entlang von Straßen und über die Kreuzungen (im Fachjargon Knotenpunkte) hinweg. Und was sagt die ERA zu der Breite von Radwegen?
Abb.1: Titelseite ERA – Empfehlungen für Radverkehrsanlagen
Abb.2: Breitenmaße von Radverkehrsanlagen
Schutzstreifen sollen möglichst 1,50 m breit, und mindestens 1,25 m breit sein. Da diese Schutzstreifen oft am ruhende Verkehr entlanggeführt werden, wird ein zusätzlicher Sicherheitsraum von 25-50 cm zu Längsparkständen und 75 cm zu Schräg- oder Senkrechtparkständen gefordert. Dieser Sicherheitsraum soll verhindern, dass die Radfahrer durch das plötzliche Öffnen einer Autotür gefährdet werden ( im Fachjargon Dooring). Zur Fahrbahn hin wird der Radschutzstreifen mit einer unterbrochenen weißen Linie markiert:
Abb.3 und 4: Schutzstreifen

Radfahrstreifen (auf der Fahrbahn) sollen mindestens 1,85m breit sein einschließlich des 25 cm breiten durchgehenden Markierungstreifen. Der empfohlene Sicherheitsraum zu Parkständen beträgt 50 bzw. 75 cm:
Abb.5: Markierung Radfahrstreifen mit Breitstrich
Abb.6: Radfahrstrefen an der Amberger Strasse
Radwege sind von der Fahrbahn abgetrennte Wege für Radfahrer, die im Seitenraum, das heisst neben der Straße angelegt sind. Regelbreite 2,00 m, Mindestbreite 1,60 m. Auch hier sind Sicherheitstrennstreifen zum ruhenden Verkehr / Parkständen zwischen 0,5 m und 0,75 m empfohlen, um das Dooring zu vermeiden.

Seit der Neufassung der Straßenverkehrsordnung im Jahr 2021 gilt auf allen Schutzstreifen und Radfahrstreifen ein absolutes Halteverbot2.

Weshalb aber werden die Schutzstreifen oder Radfahrstreifen nicht genutzt, obwohl die Unfallstatistiken zeigen, dass die Führung des Radverkehrs auf der Fahrbahn sicherer ist als die Führung im Seitenraum? Woher kommen die vielen „Falschfahrer“ auf den Gehwegen?Dafür gibt es zwei Gründe:

Erstens werden die Schutzstreifen und Radfahrstreifen auf der Fahrbahn oft nicht korrekt ausgeführt: zu geringe oder nur Mindestbreiten, kein Abstand zu den Parkständen, unklare Regelung an den Knotenpunkten. Und schon weiß der Radfahrer nicht mehr, wir er sich verhalten soll.
Zweitens ist die gefühlte Sicherheit auf den Schutzstreifen und Radfahrstreifen gering. Insbesondere die tatsächlichen Abstände zum ruhenden Verkehr nach rechts und zum rollenden Verkehr links sind oft zu gering. Der laut StVO notwendige Überholabstand3 von 1,5 m wird von den KFZs oft deutlich unterschritten
Der nach rechts in der ERA empfohlene Sicherheitsraum oder -trennstreifen entspricht heute nicht mehr den Empfehlungen und dem durch Gerichtsurteile geforderten Abstand, den Radfahrer beim Vorbeifahren an parkenden Autos einhalten sollen, um Dooring-Unfälle (Zusammenstoss mit einer sich plötzlich öffnenden Autotüre) zu vermeiden. 1 m bis 1,5 m wurden in einschlägigen Gerichtsurteilen schon als erforderlich angesehen3:


Hat der Schutzstreifen nur die Mindestbreite (1,25m) und ist der Sicherheitsraum nach rechts schmal, sind diese 1,5m schon soviel, dass der Radfahrer nicht mehr auf dem Schutzstreifen sondern auf der normalen Fahrbahn unterwegs ist. Ich fahre daher auf den Schutzstreifen immer an der linken Begrenzung. Rechnet man Sicherheitsabstand nach rechts (1,0-1,5m), die Breite des Fahrrades (0,4m) und den vorgeschriebenen Fahrzeugabstand der vorbeifahrenden KFZ (1,5m) zusammen, sind das 2,9 bis 3,4 Meter, die ein Radfahrer braucht, um maximal sicher unterwegs zu sein. Das erschient selbst mir utopisch. Aber schon 1987 wurden in Berlin Radfahrstreifen mit einer Mindestbreite von 2 Metern plus Sicherheitstrennstreifen von 0,6 Metern empfohlen4.
Abb.7: Etwa 3m Platz braucht es wenn Radfahrer und KFZ  die richtigen Abstände einhalten




Abb.8-10: Regelwidrig angeordnetes Parkverbot  und zu schmaler Schutzstreifen an der Bahnhofstraße in Neumarkt
Fahre ich korrekt in der Mitte oder weiter links auf einem Schutzstreifens oder Radfahrstreifen, fährt der MIV (motorisierte Individualverkehr) aber oft direkt neben der unterbrochenen (Schutzstreifen) oder durchgehenden Begrenzungslinie (Radfahrstreifen) ohne 1,5 m Abstand.

Da muß man schon hartgesotten sein, um solche Strecken gerne zu befahren. Der Stress für den Radfahrer ist viel zu hoch. Er fühlt sich nicht sicher und es liegt mindestens ein LTS (Level of Traffic Stress) von 3-4 vor. Eine solche Radverkehrsführung ist für Kinder, Senioren und viele andere unzumutbar und wird daher vermieden. Die meisten Radfahrer in der Stadt bevorzugen eine vom MIV getrennte Führung. Soll der Radverkehr auf die sichere, straßenbegleitende Radverkehrsführung wie Schutzstreifen oder Radfahrstreifen gelenkt werden, müssen diese einen Sicherheitstrennstreifen vorweisen, an den Knotenpunkten (Kreuzungen) eindeutig geführt sein und so breit sein, daß ein problemloses Überholen möglich ist. Während die ERA für Schutzstreifen eine Mindestbreite von 1,25 m und eine Regelbreite von 1,50 m vorsieht, gehen andere Empfehlungen da schon viel weiter. Ein Verkehrsplanungsbüro empfiehlt als Mindestbreite 1,40m und der Verband der Versicherungswirtschaft von mindestens 1,85 m zusammen mit einem 0,75 m breiten Sicherheitstrennstreifen5.
Wünschenswert und stressmindernd sind auch bauliche Abgrenzungen zur übrigen Fahrbahn auf dem Trennstreifen zwischen Radfahrstreifen und übriger Fahrbahn:
Abb.11: Baulich getrennte Radwege (Protected Bike Lanes) in Düsseldorf, Würzburg, München und Berlin

Und was finden wir in Neumarkt?

Der Integrierte Gesamtverkehrsplan der Stadt Neumarkt vom Februar 2013, in dem die Förderung des Rad- und Fussgängerverkehrs gefordert wird, sieht vor, dass in Neumarkt der Radverkehr vorzugsweise auf der Fahrbahn geführt wird und nur die Mindestbreiten angelegt werden6.
So sind die Radspuren in Neumarkt eng und das Befahren ist mit Stress verbunden. Das sieht man an vielen Stellen in der Stadt. Die Radfahrer nehmen diese Führungen nicht an, und sind weiterhin wie häufig an der Kreuzung am unteren Tor zu sehen, auf dem Bürgersteig als Falschfahrer unterwegs. Eng angelegte Schutz- oer Radfahrstreifen berücksichtigen nicht das Sicherheitsbedürfnis der Radfahrer und der Zeitverlust beim Linksabbiegen anden Kreuzungen  ist im Vergleich zu allen anderen Verkehrsteilnehmern erheblich. Es fehlt auch die Roteinfärbung der Radfahrstreifen auf der Fahrbahn. Die weiße Markierung reicht alleine nicht. Ähnlich ist es an der neu gestalteten Lammsbräukreuzung. Nur schmale Radspuren auf der Straße, die farblich nicht hervorgehoben sind.
Auch der Schutzstreifen an der Bahnhofsstraße ist viel zu schmal. Hält man nach rechts einen Abstand von 1,25 bis 1,5 Metern ein, fährt man schon auf der gestrichelten Linie. Da wird kein Autofahrer noch einen Abstand von 1,5 m beim Überholen einhalten. Ganz zu schweigen von dem viel zu schmalen Schutzstreifen direkt vor der Kreuzung am oberen Tor.
Bild 12-14 Bahnhofsstraße: Parken und Fahren auf dem Schutzstreifens
So wundert es mich nicht, dass viele Radfahrer die angebotenen Radspuren auf der Straße nicht nutzen. Diese sind zu schmal, an den Kreuzungen schlecht geführt und das subjektive Sicherheitsgefühl fehlt. Erst ab einer Breite von über 1,85 m steigt der Anteil der Radfahrer, die den Schutz- oder Radfahrstreifen benutzten auf über 85%7. Der 10 Jahre alte integrierte Gesamtverkehrsplan aus Neumarkt muß deshalb dringend revidiert werden.Literatur:
1 - Empfehlungen für Radverkehrsanlagen, FGSV Verlag 2011, Seite 16 
2 - StVO Anlage 3 (zu § 42 Absatz 2StVO) Richtzeichen, Nummer 22, Satz 3.
3 - Abstandsgebot des § 5 Abs. 4 S. 2 StVO
3 - https://fahrradfreundliches-griesheim.de/dooring-unfallpraevention-10-gruende-warum-12-meter-abstand-zu-parkenden-autos-fuer-radfahrende-notwendig-sind/ am 13.1.2023
4 - Höppner, Michael; Stadtverkehr mit dem Fahrrad oder Mobilität ohne Schaden, Berlin 1978, zitiert aus https://www.däumel.de/WD/Radverkehr/IBA87/Seite_7.html#I21 ; am 9.Januar 2023
5 - Forschungsbericht Nr. 59: Sicherheit und Nutzbarkeit markierter Radverkehrsführungen,Unfallforschung der Versicherer 2019, Seite 80
6 - Integrierter Gesamtverkehrsplan Neumarkt i.d.OPf. Planung, Kurzfassung, Februar 2013, Seite 9
7 - Forschungsbericht Nr. 59: Sicherheit und Nutzbarkeit markierter Radverkehrsführungen, Unfallforschung der Versicherer 2019, Seite 62


Bildnachweis:Bilder 3, 5: stvo2go.de; Bild 11: Fa Schütz-Baustoff17. Januar 2023
Für kritische Anmerkungen, Hinweise auf den Fehlerteufel und Themenvorschläge schreibt bitte eine Email: ludwig.kleine@radfahren-in-neumarkt.de

Impressum & Datenschutz