Radverkehrsförderung in Neumarkt 



im Schneckentempo gehts voran

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit



Abb.1: Aus dem integrierten Gesamtverkehrskonzept Neumarkt 2011





Abb. 2 und 3: Typische Verkehrssituation an der Oberen und Unteren Marktstraße
Natürlich ist niemand in Neumarkt gegen den Radverkehr. Es werden zwar immer wieder Fahrradfahrer kritisiert, die sich nicht an die Regeln halten und über die Bürgersteige radeln, bei Rot die Ampeln queren oder Fußgänger in der Fußgängerzone verschrecken. Aber niemand spricht sich gegen das Radfahren aus.
Regeltreue wird richtigerweise gefordert2. Aber es ist nicht leicht und manchmal sogar unmöglich, sich an die Verkehrsregeln zu halten, wenn man als Radfahrer in Neumarkt unterwegs ist. „Dann sollen die doch mal ihr Rad schieben“ wird gefordert. Aber dann ist der Radfahrer kein Radfahrer mehr, sondern ein Fußgänger. 
Das Oberlandesgericht in Hamburg hat richtigerweise festgestellt: Radfahrende sind eben nicht als „qualifizierte Fußgänger“ anzusehen, denen unabhängig von etwaigen straßenverkehrsrechtlichen Anordnungen nach Belieben angesonnen werden könnte oder müsste, vom Fahrrad abzusteigen und fortan als Fußgänger am Verkehr teilzunehmen1.
Irgendwie sind alle mit der Situation der Radfahrer unzufrieden und das hat gute Gründe. Alle Umbau- und Ausbaupläne der Verkehrswege in Neumarkt in den letzten zwei Jahren priorisieren weiterhin den Motorverkehr zu Lasten der Fußgänger und Radfahrer. Umbau der Obi-Kreuzung, Bahnübergang Ingolstädter Straße, Ausbau B299  und Tiefgaragenausbau an der Hochschule sind die wichtigsten Beispiele für diese verfehlte und anachronistische Verkehrspolitik, die weiterhin den Kraftverkehr bevorzugt trotz aller Lippenbekenntnisse zur Gleichberechtigung der Verkehrsteilnehmer Fußgänger und Radfahrer oder klimafreundlichem Verkehrswende.Radverkehrsförderung geschieht laut Jahresbericht Radverkehr den vier Säulen: 

Infrastruktur -  Service - Information -  Kommunikation. 
Infrastrukturverbesserungen für Radfahrer bestehen laut Jahresberichten 2021, 2022 und 2023 hauptsächlich in der Änderung von Beschilderungen oder Fahrbahnmarkierung an Kreuzungen3-5.Service-Leistungen aus dem Jahr 2022 waren die Lastenradförderung, eine Fahrradreparaturstation und wenn man so will, ein Forschungsprojekt mit der TH Nürnberg. Information sind Pressemitteilungen zum Winterdienst, Radverkehrskonzept und der Lastenradförderung.
Kommunikation bestand in der Etablierung des Kontakts zwischen dem Radverkehrsbeauftragten der Stadt Neumarkt (radfahren@neumarkt.de) und der Bevölkerung, sowie dem Jourfixe Radverkehr, an dem auch ich als Delegierter des ADFC Neumarkts teilnehmen darf.

Doch Schilder, Serviceleistungen und Kommunikation helfen alleine nicht weiter. Nicht nur die EU-Kommission6 weiß, dass Radfahrer 
      • gute Radwege, 
      • gute Kreuzungen (Knotenpunkte) und 
      • gute Abstellanlagen 
benötigen. Und da erkenne ich in Neumarkt keine wesentlichen Fortschritte. 

Obwohl Neumarkt 
→ seit 2012 Mitglied der Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundlicher Kommunen in Bayern ist, 

→ das Integrierte Städtebauliche Entwicklungskonzept 20128 Ausbau und Aufwertung der Fuss- und Radwegeverbindungen vorsieht (Abb.5),

→ der Gesamtverkehrsplan aus dem Jahr 20136 alle Verkehrsmittel mit gleicher Priorität berücksichtig wissen und auf das gleiche Niveau heben will (Abb.1,4) 7,

→ laut Nachhaltigkeitskonzept9 der Stadt Neumarkt „die Verkehrsträger des Umweltverbundes Fahrradfahren, Zu-Fuß-Gehen und der ÖPNV … bevorzugt“ und dabei der Radverkehr besonders gefördert werden soll (Abb.5),     


gibt es kaum einen neuen Radweg, bessere Kreuzungen oder neue Abstellanlagen.


Abb.4: Gesamtverkehrsplan
Abb.5 : ISEK
 



Viele Maßnahmen wurden schon vor langer Zeit gefordert und/oder geplant. Die Ausführung blieb aber aus.
Infrastruktur Radwege:

Einer der wenigen neuen Radwege im Stadtgebiet Neumarkt wurde zwischen Fuchsberg und Höhenberg entlang der Staatsstraße 2240 im Jahr 2010 gebaut. Alle anderen „neuen“ Radwege sind Verbesserungen schon bestehender Wege und nicht wirklich neu oder allenfalls kurze Strecken wie an der Blomenhofstraße, wo die Ampelmasten mitten auf dem Radweg platziert wurden (Abb.6).

Der Radweg nach Höhenberg ist seit Juli 2022 beschlossen, aber seitdem ist nichts geschehen, und es soll alles noch einmal diskutiert werden.

Nur dort, wo auch für den KFZ-Verkehr neu gebaut wurde wie an der Florianstraße oder der Regensburger Straße, wurde auch die Radverkehrsführung erneuert. Hier darf sich jeder selbst ein Urteil bilden. 

Die Unsitte, Radfahrer auf den Bürgersteig zu verbannen, ist weiterhin weit verbreitet (Woffenbacher Straße, Altdorfer Straße, Freystädter Straße) obwohl die ERA - angeblich auch für Neumarkt verbindlich10  - solche Zweirichtungsradwege zusammen mit dem Fußverkehr nur in Ausnahmefällen vorsieht11

Der Schutzstreifen an der Bahnhofstraße war regelwidrig zu schmal markiert und berechtigterweise in der Kritik. Komfortable Radwege sehen anders aus! Jetzt ist der Schutzstreifen wieder entfernt worden, obwohl dessen Markierung eine Voraussetzung zur Zertifizierung der AGFK war12. Gibt Neumarkt die Zertifizierung zurück?

Weiß jemand einen wirklich neuen und guten Radweg in Neumarkt?

Abb.7: Ampelmasten mitten auf dem Radweg
Abb.8: Der vielleicht schmalste gemeinsame Zweirichtungs-Fuß- und Radweg der Welt in Pölling
Infrastruktur Knotenpunkte (Kreuzungen):

Keine Kreuzung in Neumarkt erfüllt die Forderung nach einladenden Radverkehrsanlagen. Weder an der Lammsbräukreuzung mit den viel zu schmalen Radfahrstreifen auch in Mittellage, oder am unteren Tor mit Radfahrstreifen in Mindestbreite gibt es angenehme Wege für Radfahrer, auch wenn diese Kreuzungen ERA-konform mit Minimalstandard geplant wurden. Der hohe Stresslevel führt dazu, dass viele Radfahrer den Gehweg nutzen, weil sie sich dort sicherer fühlen. 

Ganz zu schweigen von der Kreuzung am oberen Tor, wo sich seit 25 Jahren nichts geändert hat13, obwohl es ein Unfallschwerpunkt (Abb.9) ist. Dabei gibt es schon seit vielen Jahren Verbesserungsvorschläge, die auch im Bau-Planungs- und Umweltsenat der Stadtrates der Stadt Neumarkt positiv bewertet wurden.14 (Abb.10)
Abb.9: Die Kreuzung am oberen Tor ist der Unfallschwerpunkt für Radfahrer in Neumarkt
Abb.10: Bereits 2013 wurden detaillierte Vorschläge zum Umbau der Kreuzung am oberen Tor gezeigt
Infrastruktur Abstellanlagen:

Die alten Vorderradklemmer (auch Felgenkiller genannten) Fahrradständer am oberen und unteren Markt rosten so vor sich hin. Fahrradboxen, in denen Fahrrad und Gepäck gesichert abgestellt werden können, wurden seit  2009 gefordert15, gibt es aber immer noch nicht und die Situation am Bahnhof hat sich auch noch nicht verbessert. Zum ersten mal seit vielen Jahren wurden wenigstens am Rathaus 9 neue (nicht DIN-konforme) Anlehnbügel aufgestellt.
 
Abb.11: Vorderradklemmer an der Bahnhofstraße
Abb.12: Insgesamt 9 Anlehnbügel wurden am Rathaus aufgestellt
Zusammenfassend muss leider festgestellt werden, das die Infrastruktur für den Radverkehr (Wege, Kreuzungen, Abstellanlagen) sich in den letzten 10-15 Jahren kaum verbessert hat. Entgegen den Aussagen im Gesamtverkehrsplan, des ISEK oder des Nachhaltigkeitskonzeptes gibt es nur minimale Fortschritte und die Anforderungen der AGFK werden nicht erfüllt. Der Radverkehr steht nicht gleichberechtigt neben dem motorisierten Verkehr und erhält nicht die nötige Förderung wie es die beschlossenen Konzepte und Strategien der Stadt Neumarkt seit vielen Jahren fordern.Wichtigste Zwischenetappe zur Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur ist sicher das Radverkehrskonzept16, dass - obwohl schon 2013 durch die AGFK gefordert - erst jetzt erstellt und noch nicht öffentlich oder beschlossen ist. Ein Radverkehrskonzept ist Voraussetzung für die Zertifizierung als fahrradfreundliche Kommune17 durch die AGFK, aber Neumarkt hat sich da mit einem Versprechen gerettet und so wird seit 2019 daran gearbeitet. Jetzt soll das RV-Konzept 2024 beschlossen werden. Da werde ich sicher gesondert berichten. Was dann aus dem Konzept verwirklicht wird und welche Mittel aus dem Stadthaushalt dafür bereit gestellt werden, steht in den Sternen. Bisher gibt es noch keinen einzigen Titel im Haushaltsplan der Stadt Neumarkt, der Geld alleine für den Radverkehr vorsieht, obwohl auch das Forderung der AGFK war.

Hoffentlich geht es in Neumarkt etwas schneller als im Freistaat Bayern, der den Ausbau des innergemeindlichen Radnetz Bayern in den nächsten 140 Jahren ausbauen will, glaubt man der im Radgesetz Bayern18 beschlossenen Vorgaben.




Quellen
1. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg 3n. Senat für Bußgeldsachen, 5 ORbs 25/23
2. Artikel im Neumarkter Tagblatt vom 8. Juni 2024: Wie diszipliniert fahren Neumarkts Radler
3. Jahresbericht Radverkehr 2021 im Bau-, Planungs- und Umweltsenat (BPU) am 21.6.2021
https://www.neumarkt.sitzung-online.de/public/to020?16--anlagenHeaderPanel-attachmentsList-0-attachment-li
nk&TOLFDNR=19169&SILFDNR=2193
4. Jahresbericht Radverkehr 2022 im BPU Senat am 18.7.2022
https://www.neumarkt.sitzung-online.de/public/to020?13--anlagenHeaderPanel-attachmentsList-0-attachment-link&TOLFDNR=19815&SILFDNR=2333
5. Jahresbericht Radverkehr 2023 im BPU Senat am 11.12.2023
https://www.neumarkt.sitzung-online.de/public/to020?19--anlagenHeaderPanel-attachmentsList-0-attachment-link&TOLFDNR=1000739&SILFDNR=1000085
6. EU Resolution zum Radverkehr vom 16.2.2023, siehe auch https://radfahren-in-neumarkt.de/eu-parlament-will-mehr-radverkehr
7. Intergrierter Gesamtverkehrsplan
8. ISEK 2012
9. Nachhaltigkeitsstrategie der Stadt Neumarkt 2018
10. aus dem Wortprotokoll der Sitzung des BPU-Senats vom  20.7.2021: Empfehlngen für Radverkehrsanlagen sind für Neumarkt verbindlich
11. ERA Empfehlungen für Radverkehrsanlagen FGSV Verlag 2010, Seite 26
12. Situngsprotokoll des BPU-Senats Neumarkt vom 20.7.2021, Tagesordnungspunkt Ö6 Wortprotokoll
13. “Eine Ära geht zu Ende” Neumarkter Tagblatt vom 22.Januar 2022, Seite 22.
14. Sitzung des BPU-Senats vom 22. April 2013, Präsentation Innenstadtwettbewerb Haupteinkaufsstraßen/Bahnhofstraße -Festlegung verkehrlicher Rahmenbedingungen
15. Sitzung des BPU-Senats 26.1.2009, Antrag der UPW-Fraktion auf Errichtung von Fahrradgaragen/Fahrradboxen in der Innenstadt
16. Vorstellung des Radverkehrskonzeptes geplant für den 30.3.2024 im Verkehrsausschuss, bisher nicht erfolgt.
17. Aufnahmekriterien für Städte und Gemeinden in die „Arbeitsgemeinschaft fahrradfreundliche Kommunen in Bayern - AGFK Bayern e. V.“ 
18. Radgesetz Bayern Artikel 1 und 2 Radgesetz Bayern, siehe auch https://radfahren-in-neumarkt.de/bayern-radentscheid-und-radgesetz
Bildnachweis:Abb.1:     Aus dem integrierten Gesamtverkerhskonzept der Stadt Neumarkt, 2011
Abb.10:    Aus der Vorlage Sitzung des BPU-Senats vom 22. April 2013, Präsentation Innenstadtwettbewerb Haupteinkaufsstraßen/Bahnhofstraße

17. Juni 2024
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